Dysfunktionale Familie

Dysfunktionale Familien finden sich in der Gesellschaft häufiger wieder, als man im ersten Moment vermuten würde.

Diese Familien tragen eine Last mit sich herum, deren Ausmaß sich nur schwer überblicken lässt. Mal mehr, mal weniger sichtbar, sind die Auswirkungen von dysfunktionalen familiären Verhaltensweisen insbesondere für die Kleinsten und Schwächsten in der Gesellschaft, die Kinder, doch am deutlichsten spürbar.

Als wenn das nicht schon schlimm genug wäre, bleiben die Wunden häufig ein Leben lang bestehen und werden leider sehr oft auch an die eigenen Kinder weitergegeben ­– ein Teufelskreis!

Woran sich dysfunktionale Familien erkennen lassen, welche Auswirkungen auftreten können und wie sich betroffene Familienmitglieder Hilfe holen können, erfährst du in diesem Artikel.

Merkmale einer dysfunktionalen Familie

Die Vorsilbe „dys-“ beschreibt sehr gut, was diese Familien charakterisiert: Etwas ist krankhaft, übel, schlecht und / oder falsch.

Es handelt sich somit um ein Familiensystem, welches nicht der allgemeinen Norm entspricht. Etwas oder jemand innerhalb der Familie weicht vom Standard ab und spiegelt nicht das wider, was in der Gesellschaft gemeinhin als „Normal“ angesehen wird.

Die klassische Funktion der Familie erfüllt in diesen Fällen leider nicht ihren Zweck. Daher auch der Begriff „dysfunktional“.

In einer gesunden Familie stellt das eigene Zuhause einen sicheren Ort dar. Die engsten Bezugspersonen, die Eltern & Geschwister, garantieren ein geborgenes, liebevolles Aufwachsen. Das Kind darf sich austesten, im geschützten Raum Erfahrungen sammeln, es erhält Schutz und Fürsorge. Auf angemessene Art und Weise werden Grenzen gesetzt und Bedürfnisse berücksichtigt. Das Kind wird individuell gefordert und gefördert und aufgrund seiner Einzigartigkeit gewertschätzt. Es wächst sicher, geborgen und frei auf.

In einer dysfunktionalen Familie jedoch sieht das häufig ganz anders aus. Meistens sind es gleich mehrere der o. g. Kriterien, die entweder gar nicht oder nur sehr ungenügend vorhanden sind.

Es lassen sich oft zwei Arten von Familien unterscheiden. Zum einen die Familien, in denen nach außen sichtbar ganz deutlich eine Störung vorliegt. Das kann sich bspw. durch Suchtverhalten einzelner oder gleich mehrerer Personen darstellen. Aber auch physische und seelische Gewalt im häuslichen Umfeld lassen sich oft beobachten.

Auf der anderen Seite gibt es die Familien, bei denen nach außen hin alles perfekt scheint, ein liebevolles Miteinander, keine offensichtlichen Konflikte und eine makellose Fassade. Das Umfeld staunt hier dann nicht schlecht, wenn scheinbar von heute auf morgen eine Person aus dem Familiensystem ausbricht. Dann ist auf einmal von „dem schwarzen Schaf“ der Familie die Rede. Der Querulant, der die ganze Familie in Unruhe versetzt. Diese Person bringt jedoch häufig nur zum Ausdruck, was schon lange unter der Oberfläche vor sich hin gärt und was auf eine Dysfunktionalität in der Familie hinweist.

In beiden Familiensystemen sind die Auswirkungen gleich. Die Bedürfnisse des Kindes werden oft nicht berücksichtigt. Die Eltern versagen, wenn es darum geht, ihrem Kind gegenüber Sicherheit und Stabilität zu vermitteln.

Geschwister in dysfunktionalen Familien

Es kommt nicht selten vor, dass Geschwister in dysfunktionalen Familien von den Eltern unterschiedlich behandelt werden.

Eines der Kinder bekommt mehr Aufmerksamkeit, Lob, Zuspruch und Anerkennung als das andere Kind. Dieses Geschwisterkind kann den Anforderungen der Eltern jedoch nicht gerecht werden und scheitert kläglich daran, ihre Gunst zu gewinnen. Egal, wie sehr es sich auch anstrengt, es macht ständig etwas falsch und kann es den Eltern einfach nicht recht machen. Das bleibt natürlich nicht ohne Folgen und äußert sich oft durch Verhaltensauffälligkeiten bei dem zurückgesetzten Kind.

Und so ist auch keine Seltenheit, dass es in dysfunktionalen Familien ein „schwarzes Schaf“ gibt, welches der „Übeltäter“ ist und den ganzen Familienfrieden stört. Auf diese Person wird alles Negative projiziert. Sie ist der Unruhestifter und Schuld an dem schief hängenden Haussegen.

Diese Pauschalisierung ist jedoch zu oberflächlich. Die Gründe für die Probleme in diesen Familien liegen häufig viel tiefer unter der Oberfläche und die Auslöser dafür reichen nicht selten über Generationen zurück.

Die wichtigsten Merkmale einer dysfunktionalen Familie im Überblick:

  • Viele Konflikte
  • Gewalt (physisch & psychisch)
  • Keine Liebe / Empathie
  • Keine Kontinuität / Sicherheit
  • Permanent hoher Stresslevel für das Kind
  • Liebe gegen Belohnung
  • Keine Tagesstruktur/ Ordnung, fehlende Grenzen
  • Familie ist keine Einheit, kein „Team“
  • Kinder werden sich selbst überlassen
  • Übergriffiges Verhalten
  • Kein Raum für persönliche Entfaltung und Wachstum
  • Ungerechtigkeiten unter Geschwistern

Auswirkungen einer dysfunktionalen Familie:

Die Auswirkungen, die eine dysfunktionale Familie auf deren Mitglieder haben kann, können verheerend sein. Die Probleme, die in diesen Familien vorherrschen, existieren oft über Jahrzehnte hinweg und prägen so unweigerlich insbesondere die Kinder. Das Ausmaß dieser toxischen Familienverhältnisse lässt sich häufig erst im Erwachsenenalter in seinem ganzen Ausmaß erkennen.

Die fehlende Bindung, die durch das schlechte Klima in der Familie entsteht, wirkt sich auch auf die spätere Bindungsfähigkeit des Kindes aus. Die emotionalen Wunden, die dieses Kind in jungen Jahren erfahren hat, machen es ihm schwer, eine gesunde Beziehung zu führen. Oft zeigt sich das in unsteten, häufig wechselnden, kränkelnden Paarbeziehungen, die immer dem gleichen Muster folgen. Es können Persönlichkeitsstörungen ebenso auftreten, wie Depressionen, Angststörungen und Suchterkrankungen.

Kinder aus solchen Familien haben später große Probleme, Vertrauen zu anderen Menschen aufzubauen, Grenzen zu setzen und ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln bzw. auszuleben.

Das besonders Fatale an dieser Situation ist, dass diese dysfunktionalen Familienmuster und Verhaltensweisen meistens über Generationen hinweg weitergegeben werden. Betroffene Personen sind sich ihrer inneren Verletzungen und deren Auswirkungen oft nicht bewusst und geben es daher ohne Absicht an ihre eigenen Kinder weiter.

Natürlich möchten sie, dass es ihren Kindern einmal besser geht, und so tappen sie häufig in eine Falle, die erst bei genauer Betrachtung als solche zu erkennen ist.

Das Motiv, es besser zu machen als die eigenen Eltern, wird nämlich auf den Verletzungen der eigenen Kindheit aufgebaut und nicht auf ehrliche und gesunde Emotionen. Der eigene Nachwuchs soll schließlich nicht unter destruktiver Kritik, Abwertungen und Schuldzuweisungen leiden!

Und so rutscht man häufig unbeabsichtigt in die nächste ungesunde Verhaltensschleife, indem man als Eltern die eigenen Bedürfnisse komplett hinten anstellt und der Nachwuchs dieses Verhalten als selbstverständlich betrachtet. Können die Eltern diesem hohen Anspruch nicht mehr gerecht werden, sind es die eigenen Kinder, die nun wiederum den Eltern ein Schuldgefühl und schlechtes Gewissen vermitteln. Und so dreht sich die Spirale aus Verletzungen, Enttäuschungen und unerfüllten Bedürfnissen immer tiefer und tiefer.

Es hat sich ein komplexes, familiäres Dilemma auf psychologischer Ebene verfestigt, welches aus eigener Kraft kaum mehr zu überblicken und zu heilen ist.

Doch wie können Betroffene diesen Kreislauf durchbrechen?

Heilung in einer dysfunktionalen Familie:

Als betroffene Person ist es sehr schwer, aus eigenem Antrieb förderliche Lösungsstrategien zu entwickeln, die es ermöglichen, den dysfunktionalen Mustern der Herkunftsfamilie zu entkommen. Die Erkenntnis, dass etwas gehörig schiefläuft und sich etwas ändern muss, kommt häufig erst, wenn die Kinder im Erwachsenenalter eine eigene Familie gründen.

Ein häufiger Reflex ist dann das Ausbrechen aus dem Kreislauf, in dem man den Kontakt zu der Herkunftsfamilie, bzw. einzelnen Mitgliedern abbricht. Dieser Befreiungsschlag gibt der Person die Möglichkeit, sich den schädlichen Einflüssen zu entziehen, zur Ruhe zu kommen und gesunde Verhaltensweisen zu erlernen.

Auf der anderen Seite kann natürlich auch versucht werden, ohne Kontaktabbruch Wunden zu heilen und Verhaltensweisen zu ändern. Diese Variante erfordert aber ein erhebliches Maß an Bereitschaft zur Veränderung von allen Beteiligten. Dies ist jedoch oft sehr kompliziert und langwierig, da sich nicht immer alle Familienmitglieder ihrer eigenen toxischen Verhaltensweisen bewusst sind.

Egal, welche Lösung angestrebt wird, sich aus einer dysfunktionalen Familie herauszuwinden ist ein sehr sensibler, komplexer Prozess, der viel Reflexion, Mut und Klarheit erfordert. Als betroffene Person ist genau das jedoch nur sehr schwer möglich, da negative Emotionen, wie Schuld, Scham, Trauer, Angst und Wut die eigene Handlungsfähigkeit stark beeinflussen.

Hilfe von außen, in Form eines Coaches oder Therapeuten, kann eine wertvolle Stütze sein, um den dysfunktionalen Familienmustern zu entkommen. Ein ehrlicher, authentischer Austausch mit einer geschulten außenstehenden Person kann dabei helfen, das eigene Selbstwertgefühl wieder zu stärken und zu erkennen, dass man nicht mehr länger das kleine verletzte Kind ist, welches den Eltern hilflos ausgeliefert ist.

Wohlüberlegte Handlungen, auf Erwachsenenebene ausgeführt, sorgen so Schritt für Schritt dafür, sich den schädlichen Einflüssen der eigenen Herkunftsfamilie zu entziehen und ein selbstbestimmtes, friedvolleres Leben zu führen.