Kontaktabbruch aus Selbstschutz

„Das war`s! Jetzt reicht`s! Nicht mit mir! Warum tue ich mir das überhaupt noch an?!“

So oder so ähnlich klingen die Gedanken von Personen, die in einer ungesunden Beziehung feststecken. Wenn der „Point of no return“ erreicht ist.

Eine Kränkung zu viel, eine Enttäuschung zu groß, eine Verletzung zu tief, und die Entscheidung ist gefallen – die leidende Person zieht sich zurück und bricht den Kontakt zu dem Menschen ab, der in ihren Augen schuld ist an der Krise.

Häufig gehen diesem Schritt viele Jahre voraus, in denen sich negative Gefühle wie Angst, Trauer, Scham und Minderwertigkeit manifestiert haben. Dann genügt ein kleiner Funke, gemessen an den vorherigen Vorkommnissen eine Kleinigkeit, und man kommt zu dem Entschluss, dass der radikale Rückzug die einzige Möglichkeit ist, um wieder Kontrolle über sein Leben zu bekommen. Kontaktabbruch aus Selbstschutz scheint der letzte Ausweg.

Welche Beziehungen dies betreffen kann, wie es so weit kommt und was betroffene Personen zur persönlichen und zwischenmenschlichen Heilung beitragen können, wird in diesem Artikel näher erläutert.

Kontaktabbruch aus Selbstschutz in der Familie

Kontaktabbruch aus Selbstschutz zwischen Eltern und Kind

Spricht man von einem Kontaktabbruch in Familien, betrifft dies meistens die Beziehung zwischen Eltern und ihrem Kind. Dabei sind es häufig die Kinder, die sich von ihren Eltern lossagen. Andersherum können aber auch die Eltern zu dem Entschluss kommen, dass aus Selbstschutz eine Trennung von ihrem Kind die einzige Möglichkeit ist, um wieder mehr Frieden in ihr eigenes Leben zu bekommen. Beide Varianten sind mit viel Trauer, Leid und Schmerz verbunden.

Nähere Informationen dazu können in den beiden Artikeln „Wenn Kinder den Kontakt abbrechen“ und „Ich möchte keinen Kontakt zu meinem Kind“ nachgelesen werden.

Kontaktabbruch aus Selbstschutz zwischen Geschwistern

Nicht nur die Eltern-Kind-Beziehung ist in Familien gefährdet. Auch Geschwister können sich mit zunehmendem Alter voneinander entfremden. In einer heilen Welt sind Geschwister wie Pech und Schwefel und halten zusammen, komme, was da wolle. Die Realität sieht jedoch häufig leider anders aus. Über Jahrzehnte hinweg kann aus Streitigkeiten und Rivalitäten regelrechter Geschwisterhass entstehen, der einen radikalen Kontaktabbruch zur Folge hat. Ein Geschwisterteil zieht für sich die Notbremse und aus Selbstschutz erfolgt der absolute Rückzug.

Kontaktabbruch aus Selbstschutz zum (Ex-)Partner und Freunden

Abseits der Herkunftsfamilie kann es natürlich auch unter Freunden und in der Partnerschaft erheblich knirschen.

Es ist keine Seltenheit, dass in meist langjährigen Freundschaften irgendwann Reibungspunkte entstehen können. Das Gefühl ausgenutzt zuwerden, Neid oder Missgunst sind nur einige negative Emotionen, die mit der Zeit entstehen können. Die Alarmglocken sollten immer dann aufleuchten, wenn man sich nach einem Treffen mit dem Freund / der Freundin hinterher schlechter fühlt als vorher. So kann auch in langandauernden Freundschaften irgendwann der Zeitpunkt kommen, an dem einer der Beteiligten die Reißleine zieht und den Kontakt aus Selbstschutz abbricht.

Gleiches bei Partnerschaften. Hier kommt jedoch erschwerend hinzu, dass die verlassene Person nach der Trennung oft zu Hochtouren aufläuft, Besserung gelobt, seine / ihre Liebe beteuert und Rückholversuche startet. Eine enorm belastende, kräftezehrende Phase für denjenigen, der / die aus Selbstschutz den Kontakt zum (Ex-)Partner abgebrochen hat.

Wann sollte ein Kontaktabbruch aus Selbstschutz erfolgen?

Wir leben in einer Welt der Polarität. Wo Licht ist, ist auch Schatten und nach jedem Tief folgt irgendwann auch ein Hoch. So bleibt es auch in zwischenmenschlichen Beziehungen nicht aus, dass irgendwann, auch bei größter Harmonie, Reibungspunkte entstehen können. Dies ist völlig normal und kann, auf Augenhöhe und angemessen ausgetragen, auch durchaus zur Festigung der Bindung zweier Personen beitragen.

Ungesund wird es jedoch immer dann, wenn sich einer der Beteiligten vermehrt in der Opferrolle befindet. Immer häufiger kommt es zum Streit, Enttäuschungen nehmen zu und Kritik wird immer öfter persönlich genommen. In besonders extremen Fällen muss sich die betroffene Person sogar gegen aggressives Verhalten (physischer und/oder psychischer Art) zur Wehr setzen.

All das bleibt auf Dauer nicht ohne Folgen. Um den „lieben Frieden“ zu wahren, werden die eigenen Bedürfnisse lange unterdrückt, wodurch nicht nur die Psyche, sondern auch der Körper irgendwann erheblich leiden.

Diesen Zustand aufrecht zu erhalten, kostet extrem viel Energie. Energie, die der betroffenen Person an anderer Stelle fehlt.

Häufig kommt irgendwann der Moment, an dem ein einzelner, sprichwörtlicher Tropfen das metaphorische Fass zum Überlaufen bringt. Ein Kontaktabbruch aus Selbstschutz scheint der einzige Ausweg zu sein. Die Trennung wird als Flucht aus der Beziehung genutzt. Häufig fühlt sich die abbrechende Person auch erst einmal besser und lernt wieder Schritt für Schritt ihre eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen.

Was im ersten Moment positiv klingt, verbirgt aber einen ganz wichtigen, elementaren Punkt, der häufig übersehen wird.

Oft werden in der kränkelnden Beziehung diverse Abwehrmechanismen angewandt, die Betroffene bewusst kaum wahrnehmen. Kommt es dann zum fluchtartigen Abbruch des Kontaktes, vermeidet man auch automatisch, sich mit den eigenen Emotionen, wie bspw. Scham, Schuld, Wut und Trauer angemessen auseinanderzusetzen.

Viel zu sehr ist die abbrechende Person in dem Kreislauf aus Verletzungen und Kränkungen gefangen. Welche Abwehrmechanismen das sind, warum es wichtig ist, diese zu erkennen, und was man dagegen unternehmen kann, wird im weiteren Verlauf dieses Artikels erläutert.

Abwehrmechanismen als Coping-Strategie

Bis es zum endgültigen Kontaktabbruch kommt, treten bei der betroffenen Person, meistens unbewusst, ganz bestimmte Verhaltensmuster auf. Sogenannte Abwehrmechanismen, die auch als Coping-Strategien (engl.: coping = Bewältigung) bezeichnet werden können, dienen dazu, die Beziehung so gut es geht, und so lange wie möglich aufrecht zu erhalten.

Im Folgenden werden die häufigsten Abwehrmechanismen einmal genauer beschrieben.

Verdrängung

Der Klassiker unter den Abwehrmechanismen. Insbesondere in der Eltern-Kind-Beziehung, aber auch unter Partnern kommt es sehr oft vor, dass Betroffene nicht ehrlich zu sich und der Beziehung sind. Sie gestehen sich nicht ein, dass es alles andere als gut läuft, und verschließen die Augen vor der schmerzhaften Realität. Da werden Eltern und Partner glorifiziert und auf einen metaphorischen Sockel gehoben, der ihr Verhalten entschuldigt und letztlich eine Begegnung beider Parteien auf Augenhöhe unmöglich macht.

Hier hilft nur schonungslose Ehrlichkeit – sich und dem anderen gegenüber. Keinem der Beteiligten bringt es auf lange Sicht etwas, wenn man vor der Realität die Augen verschließt.

Verleugnung

Auch hierbei handelt es sich um eine häufige Strategie, um die Beziehung aufrecht zu erhalten und einen Konflikt zu vermeiden. Kränkungen und Streitigkeiten werden verharmlost und heruntergespielt. „So schlimm ist es nun auch wieder nicht.“ „Das stört mich überhaupt nicht, dass wir immer wieder aneinandergeraten.“ „Mir macht das gar nichts aus.“

Verleugnen Personen, einen ehrlichen Blick auf die Probleme zu werfen, machen sie sich im Grunde nur etwas vor. Die Beziehung mutiert zu einem Abziehbild der echten Beziehung mit all ihren Problemen.

Das Unterbewusstsein signalisiert jedoch die ganze Zeit sehr wohl, dass etwas im Argen ist. Gedanken, wie die oben genannten, kommen schließlich nicht von ungefähr. In unglücklichen Partnerschaften ist die Verleugnung sehr häufig zu beobachten.

Verschiebung

Dieses Verhalten ist eines der komplexesten und weitreichendsten, denn hier sind nicht mehr nur unmittelbar die beiden betroffenen Personen involviert. Die negativen Emotionen, die man selbst in seiner eigenen Kindheit erfahren hat, werden nun auf die eigenen Kinder übertragen. Generationsübergreifend werden so Verletzungen „weitervererbt“. Die Eltern sind sich ihres destruktiven Verhaltens meist nicht bewusst. Die rebellierenden Reaktionen ihres Kindes sind für sie nicht nachvollziehbar, erst recht nicht, wenn sich der Nachwuchs immer mehr zurückzieht. Siehe hierzu auch den Artikel „Wenn Kinder den Kontakt abbrechen“.

Oft kann erst eine außenstehende Person, bspw. ein Coach, Licht ins Dunkel bringen und die wahren Gründe für die Konflikte und die gestörte Beziehung aufdecken. Erst dann ist eine nachhaltige Heilung möglich.

Projektion

„Was Peter über Paul sagt, sagt mehr über Peter als über Paul.“

Dieser Satz fasst sehr gut zusammen, worum es bei der Projektion geht. Gibt es ein Thema, welches eine Person besonders beim Gegenüber triggert, wird oft überhaupt nicht wahrgenommen, dass diese Person selbst ihren Anteil daran hat. Meist dreht es sich dabei um etwas, das man sich selbst nicht erlaubt, der Gegenüber macht aber genau das mit einer völligen Selbstverständlichkeit.

Rationalisierung

Auch die Rationalisierung ist etwas, das sehr häufig unbewusst als Strategie herangezogen wird. Da wird auf logischer Ebene versucht, scheinbar plausible Gründe zu finden, um das eigene Verhalten zu rechtfertigen.

Die wahren Motive und Haltungen bleiben aber im Verborgenen – und die betroffene Person merkt es selbst nicht einmal mehr.

Keine der o. g. Abwehrmechanismen kann dem Betroffenen helfen. Das ist, als würde man ein Pflaster auf ein gebrochenes Bein kleben. Grenzwertig wird es immer dann, wenn sich im eigenen Leben auf einmal mehrere Baustellen auftun. Gesundheitlich geht es einem vielleicht nicht so gut, im Job läuft es mehr eckig als rund und dann kommen bspw. auch noch Probleme in der Beziehung dazu. All das kann die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen.

Oft folgt nun der Rückzug bis hin zum radikalen Abbruch. Sei es im Job, in der Beziehung oder der Herkunftsfamilie. Der Abbrecher wähnt sich selbst in der Opferrolle, der den Ungerechtigkeiten seines Umfeldes ausgeliefert ist. Auf diese Weise braucht er keine Verantwortung zu übernehmen und kann jegliche Schuld an der Situation von sich weisen. Dieses Verhalten kann auf Dauer aber nicht gut gehen und sorgt am Ende nur für noch mehr Leid. Abwehrmechanismen müssen daher erkannt und im besten Fall rechtzeitig bspw. von einem Coach wirksam aufgelöst werden.

So kann Heilung entstehen

Die auslösenden Mechanismen zu erkennen und eine gezielte innere Heilung herbeizuführen, ist für betroffene Personen allein sehr schwer umzusetzen. Die ehrliche Wahrnehmung, wo die wirkliche Wurzel des Übels begraben liegt, ist für die Person schon eine große Herausforderung.

Ein geschultes, neutrales Auge, sei es durch einen psychologischen Therapeuten oder Coach, kann ganz gezielt Verhaltensmuster erkennen und individuelle Hilfestellung leisten. Die oberste Maxime lautet dabei, das eigene Selbstbewusstsein zu stärken und so wieder in eine gesunde Handlungsfähigkeit zu kommen, die es ermöglicht, sich auf angemessene Art und Weise gegenüber anderen Personen zur Wehr zu setzen.

Holt man sich rechtzeitig Hilfe, kann ein Kontaktabbruch im besten Fall somit sogar vermieden werden.