Narzissmus – Wenn nur noch der Kontaktabbruch hilft

Begegnet man einem Narzissten, hat man es mit einer äußerst spannenden Persönlichkeit zu tun. Zumindest für außenstehende Personen, die einen angemessenen, schützenden Abstand wahren können. Für Menschen, die sich im unmittelbaren Dunstkreis von Narzissten aufhalten, kann diese Beziehung jedoch die Hölle auf Erden sein.

Warum das so ist, was einen Narzissten charakterisiert und warum ein Kontaktabbruch zu dieser Person häufig der einzige Ausweg ist, um sich zu schützen, erfährst du in diesem Artikel.

Was ist Narzissmus überhaupt?

Menschen mit narzisstischen Zügen haben es mit einer ausgewachsenen Persönlichkeitsstörung zu tun, die sich sehr toxisch auf ihr Umfeld auswirkt.

Ein Narzisst hält sich selbst für einzigartig und unersetzbar. Er (oder sie) findet sich selbst überragend, ist sehr von sich selbst eingenommen und will Aufmerksamkeit um jeden Preis.

Narzissten haben eine völlig verschobene Selbstwahrnehmung und sind sehr von sich selbst überzeugt.

Auf das Umfeld wirken sie meistens sehr großspurig, äußerst dominant und selbstbewusst, arrogant und rücksichtslos. Aber auch charmant, offen und zugänglich, wenn sie den Gegenüber in ihren Bann ziehen wollen.

Klappt etwas nicht nach den Vorstellungen eines Narzissten, ist stets das Umfeld daran schuld. Die narzisstische Person ist in den eigenen Augen ja schließlich ohne Fehler und makellos.

Empathie ist für Narzissten ein Fremdwort. Sie können sich nicht in andere hineinversetzen, nicht deren Emotionen und Bedürfnisse wahrnehmen. Sie allein mit ihren Wünschen und Forderungen sind Zentrum des Geschehens und ihr Umfeld hat sich dem zu fügen. Sie sind so sehr von sich selbst eingenommen, dass da kein Platz mehr ist für die Belange anderer Menschen.

Soziale Kontakte benötigt der Narzisst maximal, um sein Ego aufzupolieren und aufrecht zu erhalten. Dabei schreckt er auch vor manipulativen Strategien nicht zurück. Diese werden beteiligten Personen spät – oft zu spät – bewusst. Nahestehende Personen sind dann meistens schon in einer Abhängigkeit gefangen, die sie an den Narzissten bindet. Ein Lösen aus dieser toxischen Beziehung erfordert für Betroffene dann unglaubliche Reserven auf allen Ebenen.

Da ein Narzisst einen erheblichen Drang verspürt, andere Menschen zu kontrollieren und gefügig zu machen, kommt es nicht selten vor, dass er Personen, die sich seinem Willen widersetzen, eiskalt fallenlässt, sobald sie nicht mehr dienlich für ihn sind. Mitmenschen sind somit im Grunde nur Mittel zum Zweck und werden schonungslos ausgenutzt. Haben sie keinen Mehrwert mehr für ihn, wendet er sich kurzerhand ab. Schuld an dieser Misere ist in den Augen des Narzissten ohne Frage natürlich immer der Gegenüber.

Diese Merkmale sind äußerst egoistische Charakterzüge, die außenstehende Personen oft ratlos, verzweifelt und ohnmächtig zurücklassen. Emotionale Verletzungen inklusive.

Hinter der narzisstischen Fassade verbirgt sich in den meisten Fällen jedoch ein sehr geringes Selbstwertgefühl, bis hin zum Selbsthass. Die Ursachen dafür sind in der Kindheit des Narzissten zu finden.

Häufig bringt man Narzissmus mit toxischer Paarbeziehung in Verbindung. Doch auch und insbesondere in der Eltern-Kind-Beziehung kann Narzissmus eine Rolle spielen. Dann nämlich, wenn ein Elternteil eine narzisstische Persönlichkeitsstörung aufweist und die Kindheit des Nachwuchses auf toxische Art und Weise davon geprägt ist.

Narzissmus in der Familie

Wie schon bereits erwähnt, benötigt ein Narzisst für sein Wohlbefinden die Abhängigkeit seines Umfeldes. Narzisstische Eltern fühlen sich daher auf ungewöhnliche Weise bedroht, wenn das eigene Kind entwicklungsbedingt seinen Weg in die Unabhängigkeit einschlagen möchte.

Sammelt das Kind seine eigenen Erfahrungen, möchte es die eigenen Wünsche und Bedürfnisse erfüllen, trifft dies bei narzisstischen Eltern nicht auf Verständnis – im Gegenteil.

Der Narzisst ist ja stets darauf bedacht, als erstes seine eigenen Interessen zu wahren und die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, bzw. durch sein soziales Umfeld befriedigen zu lassen. Und dazu zählen auch die eigenen Kinder.

Häufig sind narzisstischen Eltern das Ansehen und die Außendarstellung der Familie extrem wichtig. Der Nachwuchs darf nun dafür herhalten, diese schillernde, makellose Fassade aufrecht zu halten. Den hohen Ansprüchen der Eltern können sie dabei nur sehr mühsam, meistens auch gar nicht gerecht werden. Die Schulnoten oder aber auch die sportlichen Leistungen der Kinder im Verein werden gern von den Eltern für ihre eigene Profilierung missbraucht.

Zählt das Kind in der Schule nicht zu den Jahrgangsbesten und hat es bei sportlichen Wettkämpfen nicht für das begehrte Siegertreppchen gereicht, erfährt es Ablehnung und eine Gefühlskälte der Eltern, die schon an emotionalen Missbrauch grenzen.

Der Nachwuchs, der evolutionsbedingt nun mal auf seine Eltern angewiesen ist (sie sichern sein Überleben), möchte diese natürlich nicht verärgern und tut nun natürlich alles Erdenkliche, um den Erwartungen der Eltern gerecht zu werden.

Ob es für diese Sportart überhaupt Talent hat und Freude daran verspürt oder aber ob es für ein bestimmtes Schulfach ein ganz besonderes Interesse hat, zählt für narzisstische Eltern nicht. Es hat sich dem zu fügen, was die Eltern für richtig halten, damit diese sich selbst aufwerten können.

Durch diese äußerst manipulative, toxische Strategie wächst das Kind in der Annahme auf, dass es für das Wohlergehen und die Bedürfnisbefriedigung der Eltern verantwortlich ist.

Eine Entwicklung mit fatalen Folgen.

Folgen von Narzissmus in der Familie

Die Folgen, die das übergriffige Verhalten eines narzisstischen Elternteils mit sich bringt, sind für betroffene Kinder erst spät, meistens im Erwachsenenalter, zu erkennen. Das völlige Ausblenden der eigenen Bedürfnisse kann zu erheblichen emotionalen und sozialen Entwicklungsdefiziten führen.

Dadurch, dass es in den Augen seiner Eltern scheinbar nie gut genug ist und den hohen Ansprüchen überhaupt nicht genügen kann, fühlt es sich wertlos und verliert das Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten.

Dazu kommt die große Angst, von den Eltern nicht mehr geliebt und von ihnen abgelehnt zu werden, wenn sie nicht so funktionieren, wie es die Eltern fordern. In seinen Bemühungen alles dafür tun, um es den Eltern recht zu machen, verliert das Kind komplett den Zugang zu den eigenen Wünschen und Bedürfnissen, was sich wiederum auf gravierende Weise negativ auf die eigene Psyche auswirkt.

Die Spätfolgen, die einem Kind mit einem narzisstischen Elternteil widerfahren können, sind verheerend und zeigen ihre volle Ausprägung meistens erst, wenn das Kind selbst erwachsen ist:

  • Unterdrückung der eigenen Persönlichkeit
  • Perfektionismus (gibt Sicherheit und Kontrolle)
  • Es ist nie gut genug (die Annahme, „Liebe gegen Leistung“ treibt es bis an den Rand der Erschöpfung)
  • Kind kann später keine Grenzen setzen und für sich einstehen, kann sich nicht abgrenzen
  • Gestörtes Bindungsverhalten
  • Verlustängste
  • Gestörte Selbstwahrnehmung

Ein Kind, das seine Eltern nicht enttäuschen oder Probleme bereiten möchte, macht daher viel mit sich selbst aus. Es lernt, Sorgen und Nöte möglichst von den Eltern fernzuhalten und allein damit zurechtzukommen. Es ist sicherer, abzutauchen, nicht aufzufallen und sich stets anzupassen.

Was Betroffene tun können

Erwachsenen Kindern, die mit einem toxischen Elternteil aufgewachsen sind, bleibt im Grunde nur die Flucht, um der schädlichen Dynamik in der Familie zu entkommen.

Der Kontaktabbruch zu den Eltern erfordert eine unglaubliche Reflexion, Mut und Selbstfürsorge und ist für das Kind eine extrem große Hürde.

Das Einzige, was ihnen nun hilft, ist, sich auf sich selbst zu konzentrieren und sich gut um das eigene Befinden zu kümmern.

Selbstvertrauen und Selbstwert müssen bei dem Kind gefördert werden und mit der Zeit wachsen. Ein gesundes Umfeld, wie bspw. positive Menschen aus Familie, Freundeskreis, etc. kann dabei sehr förderlich sein, die eigene Individualität zu entwickeln.

Ein Kind, was sein Leben lang den aussichtslosen Kampf geführt hat, den Erwartungen des narzisstischen Elternteils zu entsprechen, muss nach einem Kontaktabbruch erst einmal lernen, zu sich selbst zu finden.

„Was für Bedürfnisse habe ich eigentlich?“

„Welche Wünsche möchte ich mir erfüllen?“

„Welche Ziele möchte ich erreichen?“

„Was ist mir wichtig im Leben?“

„Welche Werte bedeuten mir etwas?“

„Wer bin ich eigentlich in Wirklichkeit – ohne den schädlichen Einfluss aus dem Elternhaus?“

Diese oder ähnliche Fragen treten in dem Abnabelungsprozess sehr häufig auf und sind die logische Konsequenz nach einer toxischen Kindheit. Schließlich wurde diese Person in jungen Jahren regelrecht dahin trainiert, die Bedürfnisse der Eltern zu erfüllen, und nicht auf das eigene Wohlbefinden zu achten.

Sich aus diesem Geflecht aus negativen Emotionen, Unsicherheiten, Ängsten, Wut und Orientierungslosigkeit zu befreien ist ein wahrer mentaler und auch körperlicher Kraftakt. Professionelle Hilfe von außen kann hier eine wertvolle Unterstützung sein, um diesen Prozess zu begleiten. Mit einem kompetenten Berater an der Seite, bspw. einem Coach, lässt sich die Vergangenheit in einem geschützten Rahmen aufarbeiten, um dann gemeinsam den Blick nach vorn zu richten.

Wenn auch du dich in diesem Artikel wieder erkannt hast und dich von allein nicht dem negativen Einfluss deiner Familie entziehen kannst, dann lass uns gern gemeinsam daran arbeiten.

Ein selbstbestimmtes Leben, in dem die eigenen Wünsche und Bedürfnisse Beachtung finden und die Vertretung der eigenen Meinung und Werte gefahrlos möglich ist, ist keine Illusion und auch für dich möglich.