Vielleicht kommt dir das bekannt vor: Es gibt Menschen in deinem Umfeld, in deren Gegenwart fühlst du dich pudelwohl. Bei ihnen kannst du so sein, wie du bist und sagen, was dir wichtig erscheint, ohne Angst vor unangenehmen Konsequenzen haben zu müssen. Kurzum, du fühlst dich sicher, wahrgenommen und gemocht.
Und dann gibt es Menschen, bei denen fühlst du all diese guten Emotionen nicht. Im Gegenteil. Nach einem Treffen mit ihnen fühlst du dich schlecht, ausgelaugt, klein und unzulänglich. Dein Energielevel rauscht in den Keller und nimmt deinen Selbstwert gleich mit. Aufgepasst: Hier hast du es sehr wahrscheinlich mit einer toxischen Person zu tun.
Besonders unglücklich ist es, wenn sich toxische Personen in der eigenen Familie befinden. Doch was genau passiert eigentlich in einer toxischen Familie? Wer „vergiftet“ da wen? Wie und warum? Und was lässt sich dagegen unternehmen? Alles Wissenswerte zum Thema „Toxische Familie“ erfährst du in diesem Artikel.
Woran man toxische Familienmitglieder erkennt
Der Begriff „toxisch“ wird im Duden mit den Worten giftig, bösartig, gefährlich, schädlich, zermürbend beschrieben. Genau das charakterisiert toxische Menschen. Ein klassisches Verhaltensmerkmal dieser Personen ist, dass sie Menschen in ihrem Umfeld emotional verletzen müssen, um sich selbst aufzuwerten.
Toxische Personen können einem überall begegnen. Nicht selten tummeln sie sich im Arbeitsumfeld oder im Freundes- und Bekanntenkreis.
Häufiger als man zuerst vermuten würde, gibt es toxische Personen jedoch auch in Familien. Toxisches Verhalten in Familien lässt sich grob in zwei Kategorien unterteilen. Zum einen gibt es die sehr offensichtlichen Konflikte und Reibungspunkte. Erkennbar ist dies daran, dass eine oder gleich mehrere toxische Familienmitglieder dann bei Familienzusammenkünften zu Hochtouren auflaufen und in völliger Selbstüberzeugung ihr Gift versprühen. Da wird gestichelt, gekränkt, beleidigt. Mal unterschwellig, mal geradeheraus. Im schlimmsten Fall finden sogar Übergriffigkeiten physischer Art statt. Hier ist das toxische Verhalten offensichtlich und die Person(en), die Ziel dieser Angriffe sind, sind sich der Schädlichkeit sehr wohl bewusst. Alle Jahre wieder bieten die Weihnachtsfeiertage toxischen Familienmitgliedern für ihre Sticheleien eine gute „Bühne“.
Toxisches Verhalten in Familien geht aber auch anders. Dann nämlich, wenn im Grunde alles friedlich scheint. Es gibt keinen nennenswerten Streit, man versteht sich eigentlich gut und auch physische Übergriffe finden nicht statt.
Und doch findet man toxische Personen bzw. toxisches Verhalten auch in diesen Familien. Häufig betrifft dies die Eltern-Kind-Beziehung. Das Kind wächst in harmonischen Familienverhältnissen auf, bekommt Liebe, Zuwendung, Fürsorge und Aufmerksamkeit. Klingt auf den ersten Blick nach perfekten Bedingungen. Schwierig wird es jedoch, wenn all die oben genannten Merkmale ein Ausmaß annehmen, welches für das Kind schädlich – eben toxisch – wird.
10 häufige Eigenschaften von toxischen Personen
- Persönliche Grenzen werden nicht akzeptiert
- Übergriffiges Verhalten
- Beleidigungen, Angriffe auf psychische und physische Weise
- Man wird in seiner Einzigartigkeit nicht wahrgenommen
- Konflikte werden verschwiegen oder verharmlost
- Man fühlt sich selbst schlecht, nach einem Kontakt mit ihnen
- Manipulatives, egoistisches Verhalten
- Fehlendes Mitgefühl
- Respektloses Verhalten
- Überbehütetes Aufwachsen
- Lieblose, unempathische Erziehung
Wenn zu viel Fürsorge toxisch wird
Toxisches Verhalten in Familien erkennt man nicht immer auf den ersten Blick. Klassisches Beispiel: Das erwachsene Kind bricht scheinbar aus dem Nichts und ohne Vorankündigung den Kontakt zu den Eltern ab. Diese fallen dann häufig aus allen Wolken. Sie können sich nicht erklären, warum ihr Kind diesen so folgenschweren Schritt geht. Haben sie ihr Kind nicht aufopfernd und mit viel Liebe großgezogen? Haben sie ihm nicht alles gegeben? Waren sie nicht immer für sie/ihn da? Fragen, auf die sie häufig keine Antworten erhalten. Zurück bleiben Hilflosigkeit, Ohnmacht, Trauer, Wut und Schmerz.
Richtig ist, dass Kinder ein großes Maß an Liebe, Fürsorge, Respekt und Familienzugehörigkeit benötigen. Das gibt ihnen Sicherheit und fördert das Urvertrauen, die Selbstwirksamkeit und Autonomie.
Problematisch wird es jedoch, wenn das Kind mit zu viel Fürsorge überschüttet wird. Trauen die Eltern ihrem Kind zu wenig zu und möchten sie es vor allem Möglichen beschützen, ist eine freie Entfaltung der Persönlichkeit oft nicht möglich. Das Kind fühlt sich in seiner Entwicklung eingeengt; es schnürt ihm die Luft ab. Angeborene Bedürfnisse nach Selbstwirksamkeit und Autonomie können nicht ausgelebt werden. Unterschwellig und leise sorgt die „Überfürsorge“ dafür, dass sich Ängste, Zorn, Hilflosigkeit, Enttäuschung und / oder Einsamkeit in dem Kind ausbreiten.
Darüber hinaus können sich auch fehlendes Einfühlungsvermögen und mangelnder Respekt dem Kind gegenüber negativ auf dessen Entwicklung auswirken. In diesen Situationen wird das Kind von den Eltern nicht ernst genommen. Stattdessen wird es bspw. mit ironischen Bemerkungen konfrontiert. Fatal für das kindliche Gemüt.
Leider ist es in unserer heutigen Zeit so, dass „negative“ Emotionen immer seltener ausgelebt werden (dürfen). Stattdessen werden diese Gefühle durch Ablenkungen im Außen ruhiggestellt, verharmlost, heruntergespielt oder ignoriert.
Zur Verdeutlichung einige Praxisbeispiele aus dem klassischen Familienalltag:
- Ein Kind fällt hin oder stößt sich. Es weint. Die Reaktion des Erwachsenen: „Du musst nicht weinen.“ „Es ist nichts passiert.“
- Ein Arztbesuch steht an. Das Kind ist ängstlich und wehrt sich gegen die Untersuchung: „Du musst keine Angst haben.“ „Stell dich nicht so an.“ „Hinterher bekommst du eine Belohnung.“
- Das Kind ist unruhig, möchte spielen, die Gegend erkunden, seinem Entdeckerdrang nachkommen. Kommt dieses Verhalten in einem unpassenden Moment, wird es mit dem Smartphone „ruhiggestellt“.
Eine gesunde Entwicklung der Persönlichkeit scheint gefährdet, denn das Kind lernt so nicht, seine eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen, diese zu kommunizieren und mit kritischen Situationen angemessen umzugehen. Die Folgen dieser Erziehung sind häufig bis ins Erwachsenenalter zu spüren.
Folgen einer toxischen Erziehung
Wächst ein Kind unter den o. g. toxischen Bedingungen auf, sind die Auswirkungen davon häufig erst deutlich im fortgeschrittenen Alter zu spüren. Da das Kind in jungen Jahren nicht gelernt hat, mit starken Emotionen umzugehen, wirkt sich dies unmittelbar auf die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit aus.
Häufige Folgen einer toxischen Erziehung im Überblick:
- Konfliktunfähigkeit
- Bindungsstörung
- Emotionen können nicht klar ausgedrückt werden
- Umgang mit starken Emotionen fällt schwer
- Mangelnder Selbstwert
- Fehlende Selbstwirksamkeit
- Kein Selbstbewusstsein
- Abhängigkeit von Eltern
- Mangelnde emotionale Intelligenz
Die o. g. Folgen machen deutlich, wie wichtig es für die Entwicklung einer gesunden und stabilen Persönlichkeit ist, dass Eltern schwierige Momente und Konflikte in der Erziehung nicht vermeiden, sondern ihrem Kind begleitend zur Seite stehen. Sie zeigen ihm, wie es angemessen damit umgehen kann, und lassen es in der Situation nicht allein.
Es ist elementar wichtig, dass Kinder in ihrem Heranwachsen auch negative Erfahrungen machen und lernen, an ihnen zu wachsen. Es bringt ihnen überhaupt nichts, wenn man sie in Watte packt, einen Rettungsschirm aufspannt und sie an die lange Leine legt. All das schadet ihnen am Ende mehr, als dass es ihnen nutzt.
Umgang mit einer toxischen Familie
Hat man erst einmal erkannt, dass es toxische Personen, bzw. toxisches Verhalten in der eigenen Familie gibt, ist es wichtig, dass ganz klare Grenzen gesetzt werden. Selbstfürsorge sollte nun oberstes Gebot sein.
Es ist wichtig zu wissen, dass sich die toxischen Personen sehr wahrscheinlich nicht ändern werden. Häufig sind sie sich gar nicht ihres destruktiven Verhaltens bewusst.
So bleibt einem nur selbst die Möglichkeit sich von ihnen abzugrenzen. Dies kann in einem ersten Schritt durch die Reduzierung des Kontaktes geschehen. Hilft das jedoch nicht und fühlt man sich immer noch schlecht in ihrer Gegenwart, dann bleibt in logischer Konsequenz vorerst nur der Kontaktabbruch. Betroffene Personen, die unter der toxischen Familie leiden, können so erst einmal zur Ruhe kommen, ohne, dass immer wieder neue belastende Situationen hinzukommen.
Dieser Prozess der Abnabelung braucht häufig Zeit und kann, insbesondere wenn es sich um die Eltern handelt, sehr belastend, ermüdend und aufwühlend sein. Selbstzweifel, Unsicherheiten, und immer wieder die Frage, ob man selbst vielleicht überreagiert hat, sind keine Seltenheit. Hilfe von außen kann hier das Mittel der Wahl sein, um wieder in Verbindung mit sich selbst zu kommen, Selbstsicherheit zu erlangen und innerlich zu heilen.
Raus aus der toxischen Familiendynamik
Selbstwert, Selbstvertrauen, Selbstfürsorge … all das hat im Zusammenleben mit einer toxischen Familie erheblich gelitten. Nimmt man diese drei Begriffe einmal auseinander, wird sehr deutlich, woran es der betroffenen, leidenden Person aktuell mangelt.
Ein geschulter, neutraler Blick auf die toxische Familie, ist in den meisten Fällen schon eine große Erleichterung und Hilfe für Betroffene. Dysfunktionale Familienmuster können mit professioneller Unterstützung schneller erkannt und eingeordnet werden.
Experten, ob nun Therapeut oder Coach, wissen genau, wie man mit toxischen Familienmustern umgeht. Sie sorgen aber nicht nur für Klarheit, sondern helfen auch dabei, innerlich zu heilen. Ziel ist es, dass Betroffene erkennen, dass sie selbst wertvoll sind (Selbstwert), dass sie sich selbst vertrauen können (Selbstvertrauen) und dass sie wieder lernen, fürsorglich mit sich selbst umzugehen (Selbstfürsorge).
Toxische Familien sind keine Seltenheit und wird es wohl immer geben. Sich dem schädlichen Verhalten der toxischen Person(en) hilflos zu ergeben, muss man jedoch nicht.